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2024, das Jahr der Migration – in guten wie in schlechten Zeiten

Migration wird das Thema des Jahres 2024 – so sagen es viele Medien seit Monaten voraus. Diese Prophezeiung scheint den Zeitgeist widerzuspiegeln, wenn man den Umfragen glauben darf: Laut einer im Dezember 2023 veröffentlichten Eurobarometer-Umfrage halten 28 % der Europäer die Migration zusammen mit dem Krieg in der Ukraine für die beiden größten Herausforderungen der Europäische Union. Das Thema ist zwar jedes Wahljahr in den Schlagzeilen – aber die mit Spannung erwarteten Europawahlen im Juni, die im Schatten des Aufstieges der Rechtsextremen stattfinden, dürften dazu beitragen, dass es noch allgegenwärtiger wird. 

Eine europäische Marotte 

„Im vergangenen Jahr hat kaum ein Thema die öffentliche Debatte so sehr beeinflusst wie die Migration und es ist wahrscheinlich, dass es auch im neuen Jahr die Agenda der EU dominieren wird”, meint Lucia Schulten von der Deutsche Welle (DW). Der Journalistin zufolge liegt dies am Anstieg der Asylanträge und an den zahlreichen Abkommen, die die EU mit Ländern wie TunesienLibyen oder der Türkei geschlossen hat, um die Migration im Mittelmeerraum zu begrenzen. Und nicht zuletzt die Reform der europäischen Aufnahmepolitik, auf die sich die Mitgliedsstaaten Mitte Dezember geeinigt haben und die in der ersten Jahreshälfte verabschiedet werden soll. Der Rummel um die Migrationsfrage scheint noch einer weiteren Logik zu folgen: „Inoffiziell heißt es in Brüssel, dass eine Einigung über die Asylpolitik notwendig ist, um den Aufstieg der Rechtspopulisten zu verlangsamen”, erklärt Schulten. „Im Juni stehen die Wahlen zum Europäischen Parlament an und in vielen Mitgliedstaaten hat die Einwanderung bei Abstimmungen oft eine große politische Rolle gespielt” doch bezweifeln „Experten […], dass die neuen Asylregeln dazu beitragen können, das Thema zu entschärfen, weil die Einwanderung de facto weitergehen wird.” 

Die Angst vor Rechtsextremen scheint sich in Europa zu verfestigen. „Nach dem Überraschungssieg von [Geert Wilders] in den Niederlanden und weiteren Überraschungssiegen rechtsextremer Kandidaten” suchen die europäischen Eliten derzeit fieberhaft nach Warnsignalen [für weitere Erfolge]”, erklären Clea Caulcutt und Nicholas Vinocur in Politico und meinen, dass ihre Sorgen nicht unberechtigt seien. Denn „in fast einem Dutzend europäischer Länder, darunter Frankreich und Deutschland, führen die härtesten Anti-Immigrationsparteien, von denen einige extremer als Wilders sind, derzeit die Umfragen an oder sind zweitstärkste Kraft.” Die rechtsextremen Parteien profitieren von den Früchten einer langen Normalisierungkampagne in der öffentlichen Meinung. Aber nicht nur das: „Für viele Analysten bilden die Einwanderung, der Krieg zwischen der Hamas und Israel, der Vertrauensverlust in traditionelle Parteien sowie die Unsicherheit durch den Krieg in der Ukraine ein beispielloses Klima für die europäischen Rechtsextremisten von denen viele jetzt versuchen, die Mitte zu erobern”, erklären Caulcutt und Vinocur. Die beiden Journalisten schließen mit einer bitteren Erkenntnis: „Die pro-europäischen Zentrumsparteien haben es bislang nicht geschafft, die richtige Antwort [auf den Aufstieg der extremen Rechten] zu finden,weil sie entweder den schwierigen Fragen ausweichen oder versuchen, die Rechtsextremen zu imitieren.”

Die Rechtsextremen kopieren 

Die Strategie den Rechtsextremen nachzueifern, um die Lage zu retten, ist nicht neu, aber kontraproduktiv und gefährlich, wie die Migrationsexpertin Zoe Gardner in The New European erklärt. Als Beispiel nennt sie das Vereinigte Königreich, wo der konservative Premierminister Rishi Sunak den Kampf gegen die illegale Einwanderung zu seinem großen Thema gemacht hat selbst auf die Gefahr hin, die extremsten Maßnahmen zu fordern und die alarmistischsten Worte zu wählen. „[Am 16. Dezember] hielt er auf einer rechten Versammlung in Italien eine Rede, die es einem kalt den Rücken runter laufen lässt”, schreibt Gardner. „Sunak warnte darin, dass Europa von der Einwanderung ‚überschwemmt‘ werde, wenn seine radikalen Maßnahmen nicht umgesetzt würden” – ein wahres Katastrophenszenario, so die Expertin, die der Ansicht ist, dass die Darstellung der Migration als existenzielle Bedrohung für den Westen vor allem dazu dienexc jede Politik, selbst die krasseste zu rechtfertigen. „Wenn es um unser Überleben als Zivilisation geht, heiligt der Zweck alle Mittel”, bringt Gardner es auf den Punkt.  

Eine gefährliche Strategie 

Die Idee, sich auf reaktionäres Terrain zu begeben, um Rechtsextreme zu besiegen, kann einen nur nachdenklich stimmen. In der Frage der Migration tendieren Rechte und Rechtsextreme dazu, sich anzugleichen, wie der im Dezember 2023 in Frankreich diskutierte Gesetzentwurf zu diesem Thema beweist. Der Text, der heftig kritisiert wurde, weil er die Bedingungen für die Aufnahme von Migranten auf französischem Boden drastisch verschärft, wird von einigen als Sieg von Marine Le Pen (Rassemblement National, RN, extreme Rechte) gewertet. „Schande, Schmach, Schiffbruch… Es gibt kein Wort, das stark genug ist, um den Erfolg des Einwanderungsgesetzes zu beschreiben, dessen ultrarechte Version schließlich am 19. Dezember im Senat und anschließend in der Nationalversammlung verabschiedet wurde”, erklärt Sandrine Foulon, Chefredakteurin der französischen Zeitung Alternatives Economiques. Die Behauptung, gegen die Rechtsextremen kämpfen zu wollen, schließt heute nicht mehr aus mit ihr zusammenzuarbeiten, stellen viele Beobachten an Hand des französischen Beispiels fest. 

Es ist unwahrscheinlich, dass Appelle, das Thema mit Ruhe und Vernunft anzugehen, in diesem aufgeheizten politischen Kontext gehört werden. Im Vorfeld der Europawahlen haben die Flüchtlingsdramen des vergangenen Jahres und die menschenunwürdigen Bedingungen, denen Migranten auf dem Kontinent ausgesetzt sind, die Dringlichkeit einer öffentlichen Debatte über ihre Aufnahme in Europa deutlich gemacht. Doch die Verknüpfung mit reaktionären Themen, Panikmache und das Erstarken der extremen Rechten lassen nichts Gutes für den Ausgang dieser Diskussionen erwarten.


Über Migration und Asyl : 

Der Weg zurück 

Olena Yermakova | Eurozine | 11. Dezember | EN

Für ukrainische Migranten, die ihr Land nach der russischen Invasion verlassen hatten, brachte der Weg ins Ausland Erleichterung, warf aber auch viele Fragen auf. Die Beziehungen der Exilanten zu den Aufnahmeländern, zu anderen Flüchtlingen und Verwandten in der Heimat haben sich seit Beginn des Krieges grundlegend verändert und damit wird sich auch die gesamte ukrainische Gesellschaft verändern, meint Olena Yermakova. 

Warum strebt Europa weiterhin eine „gleichberechtigte Zusammenarbeit“ mit fragwürdigen Regimen in Afrika an? 

Evelyn Groenink | Mondiaal Nieuws | 6. Dezember | NL

Das ist die hochaktuelle Frage, die sich die niederländische Journalistin Evelyn Groenink stellt. Während sich auf dem afrikanischen Kontinent langsam ein Käfig schließt, gehen die europäischen Mitgliedstaaten immer regelmäßiger Partnerschaften mit undemokratisch agierenden Regimen ein, an die sie die Aufgabe der Migrationskontrolle delegieren. 

Adrian Burtin

Übersetzung Katja Petrovic

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