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Hybrider Krieg in der Ostsee Russischer Cyber-Terrorismus, Spionageschiffe und die „Schattenflotte“

Kaja Puto: Gibt es einen Krieg im Baltikum?

Aleksandra Kuczyńska-Zonik: Im engeren Sinne des Wortes – nein. Dort werden keine Schüsse abgefeuert, es gibt keine Soldaten. Man kann jedoch sagen, dass im Ostseeraum ein hybrider Krieg geführt wird. Seit dem Einmarsch in die Ukraine haben die Provokationen dort zugenommen, vor allem von russischer Seite. Seine Dynamik wurde auch durch den Beitritt Finnlands zur NATO beeinflusst.

Russland verfügt im Ostseeraum nicht über ein großes militärisches Potenzial. Die dort befindliche Ausrüstung ist veraltet, und die meisten Truppen wurden in die Ukraine verlegt. Aus diesem Grund setzt sie alternative Instrumente in einem noch nie dagewesenen Ausmaß ein – wie das Stören von Satellitenübertragungen oder Akte des Cyberterrorismus. Leider kommt sie ein wenig ungeschoren davon. Es überrascht uns und wir fühlen uns bedroht.

Ende 2023 gab es eine GPS-Störung im Ostseeraum. Ist bekannt, dass dies das Werk Russlands ist? Und ist das eine ernsthafte Bedrohung?

Nach den Erkenntnissen von Experten der schwedischen Verteidigungsuniversität oder des Europäischen Kompetenzzentrums für Verteidigung. Nach Angaben des finnischen Untersuchungsausschusses für hybride Bedrohungen befand sich die Ausrüstung, die zu den Störungen der Satellitenübertragungen führte, höchstwahrscheinlich in Kaliningrad oder auf Schiffen in der Ostsee. Die Störungen im Dezember dauerten mehrere Tage und waren nicht nur in der Ostsee, sondern auch in Schweden, Dänemark, Finnland, Deutschland, Polen und den baltischen Staaten zu spüren. Ich würde es nicht als Bedrohung bezeichnen, vielleicht eher als Herausforderung, die wir fürchten sollten. Sowohl die Schifffahrt als auch die Luftfahrt können vorübergehend ohne GPS-Signal auskommen, was jedoch die Verkehrssteuerung und das Leben der Bürger an Land erschwert. Eine noch größere Herausforderung sind terroristische Handlungen auf See.

Was bedeutet das?

Zum Beispiel Angriffe auf Schiffe, Hafenanlagen oder Unterwasserinfrastruktur – Kabel, Gasleitungen, Pipelines. Die spektakulärsten Beispiele sind die Angriffe auf Nord Stream 1 und 2 – die Gaspipeline, die Russland mit Deutschland verbindet – und den Balticconnector, die Gaspipeline zwischen Estland und Finnland. Sie sind nicht nur wegen der verursachten Schäden spektakulär, sondern auch wegen der Folgen für die Bürger, denn plötzlich ist klar geworden, dass wir überhaupt nicht sicher sind. Inzwischen ist die Gefahr von Terroranschlägen auf See größer als an Land.

Warum?

Die Infrastruktur auf See ist weniger gut geschützt. Sie befindet sich in der Regel in beträchtlicher Entfernung von der Küste, wodurch sich die Reaktionszeit der Dienste verlängert und die Nachricht über den Vorfall uns erst mit Verzögerung erreicht. Viele Elemente der strategischen Unterwasser-Infrastruktur wurden zu einer Zeit gebaut, als man noch nicht an eine Aggression durch andere Akteure dachte. Außerdem haben wir nicht genügend Schiffe und Flugzeuge, um die Ostsee zu patrouillieren. Die beiden Pipelines sind noch Gegenstand von Untersuchungen, die in vielen Ländern durchgeführt werden. Und noch immer ist nicht viel bekannt.

Und wissen wir, dass es Russland ist?

Im Fall von Nord Stream 1 und 2 ist dies eine Hypothese, die meiner Meinung nach die wahrscheinlichste ist. Auch bei den deutschen Ermittlungen gab es polnische und ukrainische Themen. Dies wird durch die dänischen und schwedischen Untersuchungen nicht bestätigt. Im Gegensatz dazu wird der Fall Balticconnector von Finnland und Estland untersucht. Dort wurden eine Gaspipeline und ein Kommunikationskabel beschädigt. Wir wissen, dass der letztgenannte Schaden durch den Anker eines unter der Flagge von Hongkong fahrenden Schiffes verursacht wurde, der einen langen Moment lang schleifte. Es gibt Zweifel daran, warum das Schiff dorthin fuhr und warum es an einem bestimmten Punkt langsamer wurde. Unterdessen sträubt sich China, bei den Ermittlungen mitzuarbeiten. Auch hier kann eine russische Verbindung noch nicht ausgeschlossen werden.

Auf dem Grund der Ostsee liegen Kampfstoffe und giftige Substanzen aus dem Zweiten Weltkrieg. Können sie gegen Europa eingesetzt werden?

Ein Angriff auf eine solche Anlage könnte durchaus eine Art Umweltkatastrophe verursachen. Bislang wurden keine derartigen Vorfälle gemeldet, während der Angriff auf Nord Stream auch so hätte enden können. Die Explosionen ereigneten sich in der Nähe der dänischen Insel Bornholm, wo chemische Waffen aus dem Zweiten Weltkrieg gelagert werden. Es wurde befürchtet, dass es durch die Explosion in irgendeiner Weise beschädigt worden war.

Eine weitere hybride Bedrohung im Baltikum ist der Cyber-Terrorismus.

In den letzten Monaten gab es mehrere Angriffe auf die Systeme zur Verwaltung von Offshore-Windparks in Deutschland. Auch hier war es schwierig, das Problem schnell zu diagnostizieren – schließlich sitzen die Betreiber dieser Systeme in irgendeinem Büro und die Farmen befinden sich im Ausland. Nach dem Angriff mussten sie ausgeschaltet werden, schwammen zu ihnen hin, ersetzten vielleicht etwas in ihnen und so weiter. Wir vermuten, dass Russland seine Finger im Spiel hatte.

Als direkte Folge dieses Angriffs nahmen die Unsicherheit auf dem Energiemarkt und der damit verbundene Anstieg der Rohstoffpreise zu. Darüber hinaus ist Deutschland um seine Energiesicherheit besorgt. Der Grund dafür ist, dass die grüne Energie dazu da ist, die traditionellen, aus Russland stammenden Energiequellen zu ersetzen.

Deutschland erzeugt 8,5 Gigawatt Energie mit Hilfe von Offshore-Windparks, bis 2030 soll sich diese Leistung vervierfachen. Polen auch hat in dieser Hinsicht umfangreiche Pläne. Gibt es Lehren, die man aus diesen Angriffen ziehen kann, um sich vor weiteren Angriffen zu schützen?

So ist es z. B. notwendig, diese Einrichtungen mit mehreren parallelen Systemen zu schützen, um zu verhindern, dass die Anlagen infolge eines Angriffs ausfallen. Es ist jedoch zu bedenken, dass keine Infrastruktur dieser Art frei von Risiken ist. Je mehr solche Systeme entwickelt werden, desto abhängiger sind wir von ihnen, und desto anfälliger sind wir für Cyberangriffe. Andererseits ist selbst der größte Windpark für die Energieversorgungssicherheit nicht so wichtig wie z. B. ein Kraftwerk. Ein Angriff auf das Kraftwerk hätte schwerwiegendere Folgen für die Energiekonsumenten.

Was könnte sonst noch auf diese Weise angegriffen werden? Der Hafen von Danzig, über den viele ukrainische Waren laufen? Swinoujscie und die deutschen Gashäfen sollen Gas von außerhalb Russlands kaufen?

Gewiss. Jedes Objekt, das von einer Art Datenverwaltungssystem unterstützt wird. Ich stelle mir zum Beispiel vor, dass ein Hafen plötzlich den Zugang zu den Daten verliert, die er zum Funktionieren braucht. Doch der Cyber-Terrorismus bedroht mehr als nur die Infrastruktur. Sensible Informationen, wie z. B. Kundendaten, wie z. B. ukrainische Kundendaten, können ebenfalls nach außen dringen. Mit solchen Angriffen ist nicht nur aus Russland zu rechnen, sondern auch aus China, das in den Sicherheitsberichten der Länder des Ostseeraums zunehmend erwähnt wird.

Ebenfalls neu in der Ostsee ist die russische „Schattenflotte“. Was bedeutet das eigentlich?

Mit diesem Begriff wird eine Flotte von Schiffen, in der Regel Öltankschiffe, bezeichnet, die unter Missachtung des Seerechts oder anderer Vorschriften operieren. Sie sind nicht leicht aufzuspüren, da sie in der Regel mit ausgeschaltetem AIS-Transponder (Automatic Identification System) fahren [für diejenigen, die sich für die Verfolgung von Schiffen interessieren, empfehle ich Marinetraffic – Anm. d. Verf.]. Sie fahren in der Regel unter verschiedenen Flaggen und ihre Eigentümerstruktur ist unklar.

Dieses Phänomen ist in Meeresgewässern schon seit langem bekannt, in der Ostsee ist es jedoch erst in den letzten zwei Jahren aufgetreten. Vieles deutet darauf hin, dass Russland auf diese Weise die von den EU-Ländern verhängten Sanktionen umgeht. Vor der umfassenden Invasion floss russisches Öl über die Ostsee nach Indien und China und wurde in EU-Ländern umgeschlagen. Heute wird es auf der gleichen Route, allerdings in Behelfsbooten, in internationalen Gewässern umgeschlagen, meist in der Nähe spanischer Enklaven in Afrika oder in der Straße von Gibraltar. Die Umgehung von Sanktionen ist eine Sache, aber die „Schattenflotte“ birgt auch Umweltrisiken. In der Regel handelt es sich um alte, notdürftig hergerichtete Schiffe.

Die russische Schattenflotte kann mit ausgeschaltetem AIS herumsegeln, aber die Ostsee ist nun einmal ein kleines, überfülltes Meer. Es ist nicht leicht, sich unbemerkt durch sie hindurchzuschleichen. Warum schieben wir dem nicht einen Riegel vor?

Das liegt vor allem an der komplexen Eigentümerstruktur, die oft aus mehreren Tochtergesellschaften besteht. Außerdem sind die Schiffe und Besatzungen in verschiedenen Ländern registriert. Es ist schwierig, den betreffenden Schiffseigner zu erreichen und ihn für Gesetzesverstöße oder die verursachten Umweltschäden zur Verantwortung zu ziehen.

Und kann die Schattenflotte für Spionageaktivitäten genutzt werden?

Sie könnte so weit wie möglich für die Überwachung oder Kartierung genutzt werden. Im Gegensatz dazu haben wir die meisten Beweise dafür, dass Russland Forschungsschiffe zu diesem Zweck einsetzt, d.h. Spionageaktivitäten unter dem Deckmantel der wissenschaftlichen Forschung durchführt. Ein Beispiel ist das ozeanografische Schiff Admiral Vladimirovskiy, das von den Medien seit 2022 als Spionageschiff bezeichnet wird.

Welche Maßnahmen haben die Ostseestaaten ergriffen, um sich vor all diesen Bedrohungen zu schützen?

In erster Linie befasst sich die NATO mit diesem Problem, indem sie ihre Überwachungskapazitäten in der Region ausbaut und an der Stärkung der Widerstandsfähigkeit kritischer Infrastrukturen arbeitet. Als Reaktion auf die Schäden an der Balticconnector ist beispielsweise Ende letzten Jahres eine Sonderpatrouille namens Combined Expeditionary Force in die Ostsee aufgebrochen. In den Medien wurde dieses Vorhaben jedoch kritisiert, da diese zwanzig Kriegsschiffe nur ein Tropfen auf den heißen Stein seien.

Auch einzelne Länder ergreifen Maßnahmen. So hat beispielsweise der lettische Präsident Edgars Rinkēvičs vorgeschlagen, den Schiffsverkehr für russische Schiffe zu sperren. Dies wäre jedoch schwer umzusetzen, schon allein deshalb, weil man Russland beweisen müsste, dass seine Behörden hinter der Beschädigung unserer kritischen Infrastrukturen stecken. Estland hingegen schlug vor, die Zuständigkeiten der Staaten im maritimen Bereich zu erweitern. So sollen die Dienststellen eines Landes beispielsweise über eine größere Kapazität verfügen, um Schiffe zu kontrollieren, die in ihrer Nähe vorbeifahren.

Und wie sieht es in Polen aus? Ende 2023 veröffentlichte der Oberste Rechnungshof einen Bericht, aus dem hervorgeht, dass Polen nicht auf hybride Bedrohungen vorbereitet ist.

Ich studiere Polen nicht aus diesem Blickwinkel, daher ist es für mich schwierig, mich dazu zu äußern. Andererseits habe ich den Eindruck, dass keines der Länder wirklich gut darauf vorbereitet ist, wahrscheinlich stechen nur Finnland und Schweden auf der positiven Seite hervor. Gleichzeitig haben auch sie erst vor relativ kurzer Zeit, nach der Annexion der Krim, Maßnahmen in dieser Hinsicht ergriffen. Wir sind keine großen Risiken eingegangen, also haben wir auch nicht die richtigen Instrumente dafür geschaffen. Außerdem haben wir die Flotte vernachlässigt.

Und könnte Russland das Baltikum militärisch angreifen?

Zurzeit sehe ich diese Möglichkeit nicht. Russland verfügt auch nicht über eine adäquate Marine oder, wie wir bereits sagten, über ein bedeutendes militärisches Potenzial. Was natürlich nicht bedeutet, dass dieses Potenzial in einigen Jahren nicht wieder aufgebaut werden kann. Aus einem Bericht des estnischen Geheimdienstes geht hervor, dass dies im Nordwesten Russlands bereits der Fall ist. Darin lesen wir über die jüngste Umstrukturierung der russischen Armee und die Schaffung des Leningrader Militärbezirks. Nach Angaben der Initiatoren plant Russland, seine Streitkräfte an den Grenzen zu den baltischen Staaten und zu Finnland zu verstärken.

Bisher bedroht uns aber vor allem das nichtmilitärische Repertoire Russlands. Wir haben Kaliningrad immer als ein militarisiertes Gebiet gesehen, und vielleicht ist es heute ein Zentrum hybriden Einflusses. Sie wird bald die letzte Bastion Russlands im Ostseeraum sein.

Was könnte sich durch den Beitritt Schwedens zur NATO ändern? Russland wird nur einen sehr kleinen Teil der Ostsee und Kaliningrad behalten.

Dies wird mit Sicherheit die Sicherheit der Ostflanke der NATO erhöhen – Schwedens Verteidigung ist auf einem hohen Niveau. Andererseits ist mit einer Zunahme der hybriden Angriffe aus Russland zu rechnen. Die Verletzung von Grenzlinien durch Schiffe und Flugzeuge oder die Störung von Datenübertragungen werden sicher wieder vorkommen. Wir können auch über Umweltbedrohungen besorgt sein, zum Beispiel über die bereits erwähnten chemischen Waffen.

Es ist schwer vorherzusagen, was noch passieren könnte. Vor einigen Tagen haben wir erfahren, dass Russland Dutzende von Politikern aus osteuropäischen Ländern auf seine Fahndungsliste gesetzt hat. Wenn sie in ein mit Moskau befreundetes Land gehen, könnten sie verhaftet werden. Selbst wenn es uns gelingt, unsere Verteidigung zu verstärken, könnte uns Russland mit etwas überraschen. Denn sie erfindet immer neue Instrumente der Einflussnahme auf Europa.

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Kaja Puto

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